Das Wort „Čoček“ (sprich: tschótschek) kommt von türkisch „köçek“ – das war im Osmanischen Reich der Berufstänzer, der z.B. am Hof des Sultans vortanzte, meist ein junger Roma, der auf dem Hintergrund der muslimischen Geschlechtertrennung nicht selten in Frauenkleidern tanzte. Beim osmanischen Adel tanzte „mann“ nicht so viel – man ließ lieber tanzen, schaute zu und applaudierte (so wie es auch heute in manchen muslimischen Gesellschaften üblich ist, z.B. in Afghanistan).

Čoček wird heute auf dem Balkan als Bezeichnung verwendet
a) für den Roma-Musik-Stil,
b) für den Tanzstil der Roma, den wir am ehesten als „orientalischen (Bauch-)Tanz“ bezeichnen würden.
Roma-Musiker stellten jahrhundertelang, gemeinsam mit den jiddischen Musikanten, die meisten Hochzeitskapellen auf dem Balkan, und die Mehrheitsgesellschaften haben den Tanzstil der Roma gern übernommen.

Čoček ist also nicht „ein Tanz“, sondern ein von den Roma geprägter Musik- und Tanz-Stil: in erster Linie Solotanz mit Hüft- und Schulterbewegung und eleganten Armbewegungen, getanzt sowohl von Frauen wie von Männern. Natürlich kann man sich auf Čoček-Musik auch als Gruppe mit Handfassung im Kreis bewegen – eine Form, die von westeuropäischen Folkloretänzer*innen meist favorisiert wird, die aber nur ein Teil des Čoček-Tanzstils ist.

Zu den europäischen Ländern, in denen die meisten Roma leben, gehören Serbien, Nordmakedonien, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Slowakei mit Roma-Bevölkerungsanteilen zwischen 7 und 10 %. Sowohl die Musik der Roma wie ihr Tanzstil hat sich dort jeweils mit den lokalen Kulturen vermischt. Die Bezeichnung Čoček ist besonders gebräuchlich in Südserbien und im angrenzenden Nordmakedonien.

Čoček-Musik hat meist einen geraden Takt. Es gibt sie darüberhinaus auch in 7/8, dann Čupurlika genannt, und in 9/8, in Bulgarien als Kyuchek bezeichnet, in Griechenland als Singathistós hellenisiert, in der Türkei z.B. als Karsilama verbreitet.

Dieses Video dokumentiert eine Hochzeit in Leskovac (sprich: Leskowatz), einer Stadt in Serbien nicht weit von der Grenze zu Nordmakedonien.

In dörflichen Kontexten wird die Braut häufig von einer Musikband abgeholt und durchs Dorf zum Haus des Bräutigams begleitet, wobei das Instrumentarium urtraditioneller Hochzeitmusik aus Davul (großer Trommel) und Zurna (einer ohrenbetäubenden Oboe) besteht. Hier im Video steht die Braut bereits vor dem mit Schleifen geschmückten zukünftigen Zuhause (die blauen Schleifen am Backsteinhaus sind ab und zu im Hintergrund sichtbar), und die Familie hat eine Roma Band engagiert, die „Balkan Brass“ spielt. Blechblasinstrumente wurden in Serbien seit dem 19. Jahrhundert populär, sie verbreiteten sich von dort aus auf dem Balkan und die Bläserbands werden als „bleh orkestar“ bezeichnet.

Ein quergestelltes Auto (manchmal im Hintergrund sichtbar) sperrt die Straße ab und definiert sie zur Tanzfläche. Ausdauernd tänzelnd präsentiert sich die opulent geschmückte Braut hier der zukünftigen Nachbarschaft, angeführt von der Brautmutter und umkreiselt von ihren weiblichen Verwandten, während der Bräutigam (in beiger Jeans und farblosem T-Shirt) etwas ungelenk mittrottet und der stolze Vater sich nur kurz sehen lässt. Vermutlich sind wir hier am Beginn der Feierlichkeiten, worauf auch die traditionell orientierten Pluderhosenkleider hinweisen – im Verlauf der Hochzeit wird die Braut mehrfach die Garderobe wechseln und die Kleidung wird zunehmend moderner.

Da eine ordentliche Hochzeit mehrere Tage dauert, verausgabt man sich in dieser Phase tänzerisch noch nicht. Man sieht daher sehr schön die eleganten, sparsamen Tanzschrittchen. Deutlich wird dabei, dass die Fortbewegung durch den Raum in orientalisch (osmanisch) geprägter Tanzkultur nicht besonders wichtig ist – es geht ausgesprochen langsam voran. Während Europa die Bewegung im äußeren Raum kultiviert hat, kultivierte der Orient die sinnliche Bewegung im Innenraum des Körpers (eben „Bauch“tanz). Dies ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Tanzstil, den die Roma aus dem Orient nach Europa mitbrachten, und den Volkstänzen der umgebenden Mehrheitstanzkulturen im jeweiligen Land.

Das Schrittmuster, das wir hier sehen, ist in dieser Region sehr gebräuchlich, man kann es auf jede Westbalkanmusik tanzen, die nach Roma-Musik klingt. Wobei man sich getrost an den Händen fassen mag, wenn einem das lieber ist als der Solotanz. Schön ist die Kombination: Während Brautmutter, Braut sowie manchmal auch die Schwestern und einige tanzlustige Tanten solo tanzen, hat sich die übrige Verwandtschaft zum Reigen durchgefasst und umkreist die Solistinnen.

Wenn man genau hinschaut, sieht man: Wir haben hier wieder einmal das 3-Takte-Muster: auf den 1. Takt zwei Schritte Fortbewegung, in diesem Fall eine Rückwärtsbewegung, auf den 2. Takt einen 3-er-Schritt nach hinten, wobei der letzte Schritt bereits in die neue Vorwärtsbewegung zielt, und auf den 3. Takt einen 3-er-Schritt nach vorn. Von diesem Schrittmuster gibt es, je nach Melodie und Tempo, verschiedene Variationen, z.B. mit hopp- oder tipp-Schritten verziert. Im Video hier wird ausschließlich im Energiesparmodus getanzt – das Fest fängt ja gerade erst an, die aufwändigeren Varianten wird man sich wohl für die Höhepunkte aufbewahren.

Wer wissen möchte, wie so eine Hochzeit insgesamt verläuft, kann noch in dieses Video reinklicken.

Čoček – Hochzeit mit Roma-Musik